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Es werden Posts vom 2015 angezeigt.

Neustart

E ine kleine Schneeflocke verfing sich in Luises Wimpern. Als diese blinzelte, rieselte der Eisstern tiefer auf die von der Kälte geröteten Wangen, um sich dort im Salz der Tränen aufzulösen und nur das Gefühl eines eisigen Kusses zu hinterlassen. Luise stand etwas abseits von der Clique und umklammerte ihr Sektglas mit steifen Fingern. Eilig nippte sie daran, damit es niemandem auffiel, wie schwer sie schluckte. Silvester. Jedes Jahr dasselbe. Seit ihrer Jugend trifft sich die Clique an diesem einen Tag. Früher stand eine fette Party mit reichlich Alkohol im Vordergrund. Doch in den letzten Jahren waren sie allesamt ruhiger geworden. Sie blieben nun zuhause, der Gastgeber wechselte. Silvester war zu einem Wettbewerb geworden, wer im vergangenen Jahr das meiste erreicht hatte oder im neuen die besten Aussichten hatte. Luise war froh, das Raclette hinter sich zu haben. Marlene und Martin hatten sich an Heilig Abend verlobt und würden im kommenden Sommer heiraten. In DER Lo

Sex-Heftchen in der Schublade und Kröten im Keller

Ich verweigere jede Art von Nachrichten. Die Welt ist schlecht und die Menschen noch schlimmer. Beherrscht werden die Themen von der Flüchtlingskrise und dem IS. Manchmal geht es auch um Syrien oder Schlepperbanden. Natürlich kann man nicht nur wegschauen. Davon lösen sich Probleme nicht in Luft auf. Doch ich habe auch ein Leben. Ich kann nicht zuhause sitzen und das Gefühl haben, dass ich nur noch vor und zurück wippen darf und dabei murmele "Alles ist so schlimm. Alles ist so schlimm. Wo soll das noch hinführen. Alles ist so schlimm." Jeden Tag durchforste ich die Nachrichten nach den kleinen Meldungen zwischendurch, in denen es zwar meist auch um Unfälle oder Verbrechen geht, aber die gleichzeitig lustig sind. Solche Meldungen gibt es nicht mehr. Es herrscht das Mantra "Alles ist so schlimm. Alles ist so schlimm. Wo soll das noch hinführen. Alles ist so schlimm." Wo sind sie hin? So etwas würde ich wieder einmal gerne lesen: Tittling.  Am Wochenende hatt

Uroma mit Urenkel

Die dunkelsten Abgründe der Seele

Ich werde mich nicht an das Datum erinnern können. Aber sicher an den Wochentag und an die Uhrzeit. Es war ein Donnerstag. Es war die Zeit zwischen 7.50 und 8.10 Uhr. Zwanzig Minuten, die mir die dunkelsten Abgründe meines Seins offenbart haben. Zwanzig Minuten, in denen ich zu roher Gewalt fähig gewesen wäre. Nur meine Schnelligkeit und Entschlossenheit haben Schlimmeres verhindert. Es war der Donnerstag, an dem es bei Lidl Schneeanzüge und andere Winterkombinationen für Kleinkinder gab. Als ich mein Auto auf dem Parkplatz abstellte, warteten bereits etwa fünf ältere Damen vor dem Eingang mit ihren Wägelchen. Zunächst war ich erleichtert. Ohne Wagen und ohne Kind war ich sicher schneller als diese Schabracken. Ob die wegen des Kinderzeugs da waren, war ohnehin fraglich. Nach und nach kamen jedoch Mamis mit ihren Kindern. Genau in Zwergnases Alter! Es handelte sich eindeutig um Gegner, die ausgeschaltet werden mussten. Ich würde mich zwischen den Wägen des Altersheims durchdrücken

Der Superheld

M it müden Augen schlurfte Karl zum Briefkasten. Nachlässig fiel sein Bademantel von den hängenden Schultern, der lauwarme Kaffee blieb am Dreitagebart kleben. Als er die Zeitung aufschlug, verschluckte er sich. Es folgte ein ein erstickungsähnlicher Hustenanfall, der jedem Kettenraucher zur Ehre gereicht hätte. Karl fing sich wieder, wischte den verschütteten Kaffee auf und goss sich neuen ein. Wo soll das alles nur hinführen? Schon wieder brennt es an allen Ecken und Enden und er allein soll die Welt retten. Er hatte einfach keine Lust mehr. Der korrekte Karl hatte einfach keine Kraft mehr. Zu neudeutsch nannte man das wahrscheinlich Burn-Out. Aber es half nichts. Schließlich war es sein Job! Bevor er sein E-Mail-Postfach öffnete, klickte er sich durch Ziele für Pauschalurlaubsreisen. Einfach mal die Seele baumeln lassen und der Welt den Rücken kehren. Die Karibik wäre doch schön... aber sofort rief eine kleine Stimme in seinem Kopf, dass er mit dem langen Flug erstens die Luft

Wir könnten ja mal wieder grillen

Wir sitzen auf dem Balkon und genießen die laue, sternklare Sommernacht. Plötzlich fängt Papa Zwergnase zu schnuppern an. "Da grillt wer!", wirft er fast grimmig in die Nacht hinaus. Ich schnuppere ebenfalls. "Stimmt." Schweigen. Wir hören Gläser aneinanderklingen. Gelächter. "Wir könnten ja mal wieder grillen", meint er ganz unverbindlich. So ein gemütliches Beieinandersitzen wäre wieder einmal schön. Die Unverbindlichkeit wird zur Verbindlichkeit und wir laden für den kommenden Samstag zum Grillen ein. Nicht viele Leute, man will es ja nur gemütlich haben, nichts Besonderes. Nichts Besonderes artet dann in vier bis fünf verschiedene Salate aus, ein Saucensortiment wird angeschafft, auf das ein Grillhouse neidisch wäre, dazu Kräuterbaguettes, Grillkäse, Würste und Fleisch. Viel Fleisch. Eine Nachspeise braucht es natürlich auch, wohlweislich, dass sich sowieso schon alle am Grillfleisch hemmungslos überfressen haben werden. Alkohol muss auch kalt

Eltern-Kind-Gruppe

Heutzutage gilt es geradezu als fahrlässig, mit seinem Kleinkind keinen Kurs zu besuchen. Was man da an Potenzial des Nachwuchses verschenkt, wenn man nicht von einem Termin zum nächsten hetzt! Das schlechte Gewissen drückte, also habe ich uns zur Eltern-Kind-Gruppe angemeldet. Ich finde es toll, dass es solche Angebote gibt. Für andere halt, aber nicht für mich. Als ich mich zum Begrüßungsritual in Form eines völlig unbekannten, dafür sehr schief gesungenen Liedes im Sitzkreis einfand und Zwergnase mit doch recht strengem Griff zwischen meine Beine zwang, bereute ich meine Entscheidung bereits. Die Gruppenleiterin redete und redete. Sie legte ihre Regeln für unsere kleine Zusammenkunft fest. Wir sollten ja nicht glauben, dass die Kinder zum Spielen und wir zum Ratschen hier seien. Wir hätten in den nächsten 10 Wochen ein straffes Programm aus organisiertem Spielen und Basteln vor uns. Besonders Rituale lagen der Dame sehr am Herzen. Herräumen, Aufräumen, Brotzeit, Spielen, Sin

Frauenrunde

Halb zehn in Deutschland. Erste Pause. Genüsslich packe ich mein Sandwich vom Bäcker aus. Ein Ciabatta-Brötchen mit einem Salatblatt, Schinken und Käse, Gurke und Tomate. Irgendwo zwischen den Lagen wurde das ganze fett mit Remoulade gepolstert. Nach und nach trudeln meine Kolleginnen ein. Ich sehe von einer zur anderen. Vor jeder steht eine große Wasserflasche. Vor jeder steht ein kleines Plastikschüsselchen zu Aufbewahrungszwecken. Inhalt ähnlich. Rohkost-Salate, geschnippeltes Gemüse oder Obst. Wenn man Glück hat, findet sich noch irgendwo ein Becher Naturjoghurt. Aber nur der, der keinen zusätzlichen Zucker hat. Man tauscht sich aus, welcher Joghurt geeignet ist. Es werden die verschiedenen Abnehmstrategien erörtert. Eine Kollegin setzt auf Kohlenhydratverzicht. Erste Erfolge bereits deutlich sichtbar. Ich beiße in mein Sandwich. Die Remoulade tropft wie in Zeitlupe auf den Tisch. Ich hoffe, dass das kleine Platsch nicht zuviel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ich habe ein schlecht

Auf dem Arbeitsamt

Genervt sitze ich in dem kleinen Büro meiner Arbeitsvermittlerin. Ich hasse diese Termine. Über den Rand ihrer Brille geringschätzend hinausblickend fragt sie mich, ob und wie viele Bewerbungen ich denn schon geschrieben hätte. Wieder erkläre ich ihr, dass die Rückmeldungen der rund 70 Schulen entweder ganz ausbleiben oder erst im Juli kommen werden. "Sieht es denn so schlecht aus mit der Warteliste?", fragt sie. Mein Mundwinkel zuckt ob einer sarkastischen Antwort. Ich beschränke mich auf ein schlichtes "Ja!". Sie nickt, hebt den Kopf an, um durch die Brillengläser auf ihrer Nasenspitze sehen zu können und tippt geschäftig in der Jobbörse am PC herum. Sie murmelt noch etwas von "...Lehrer... schwierig..." und fragt, ob ich nicht nochmal studieren wolle. Ja, das wäre was. Aber das Amt übernimmt dafür ja leider nicht die Kosten. Während sie tippt und scrollt, schweifen meine Gedanken in die Vergangenheit. Wenn ich noch einmal studieren könnte... Vor dem V

Wellness-Wahnsinn in der Wanne

Jeden Tag straft mich das kleine weiße Körbchen mit zur Entspannung geschenkten Badeölen, Gesichtsmasken und sonstigen Kosmetikartikeln in meinem Bad mit vorwurfsvollen Blicken. Also schließe ich mit dem Bild einer attraktiven, tiefenentspannten Dame im Kopf, die sich im Vollschaumbad räkelt, die Badezimmertür hinter mir. Ich lasse das Wasser ein und gebe ein Badeöl mit Patschuli und Sanddorn hinein. Doch nix da mit Schaumparty. Das Wasser sieht trostlos aus. Ich kippe herkömmliches Schaumbad dazu. Einer Venus gleich, steige ich in das Wasser, um sofort wieder herauszuspringen. Autsch! Das Wasser ist viel zu heiß! In der Wanne bleibt nicht viel Zeit zum Entspannen. Haare waschen, spülen und eine Haarkur drauf. Viel hilft viel, lautet hier die Devise! Währenddessen darf eine Gesichtsmaske ran. Nur her damit und rein in die Fr... ähm, schön auf dem Gesicht  einmassieren . Sofort fängt die Haut angenehm zu prickeln an. Diese Maske wird mit Sicherheit alle Falten glätten, die ich gar

Das Bermuda-Dreieck

Ganz offiziell befindet sich das Bermuda-Dreieck im Atlantik, östlich von Florida und nördlich der Karibik. Schiffe und Flugzeuge verschwinden spurlos, ohne dass eine Ursache erkennbar wäre. Aber ich weiß über das Bermuda-Dreieck Bescheid. Darum wird es Zeit, mit dem Mythos aufzuräumen. Es ist schlichtweg falsch, dass sich das Bermuda-Dreieck im Atlantik befindet. Das Bermuda-Dreieck ist überall. Es befindet sich bei mir in der Wohnung, in der Wohnung von Oma und Opa, bei allen Verwandten und Bekannten. Es ist wirklich unberechenbar. Dinge verschwinden und tauchen nach Lust und Laune wieder auf - oder eben nicht. Nichts, wirklich gar nichts ist davor gefeit. Aktuell vermissen wir eine Wundschutzcreme. Urplötzlich blieb nur noch der Deckel derselben übrig. Mutterseelenallein, sich überflüssig fühlend lag er da. Hat der Deckel doch mal eben seinen Topf verloren. Eine Tragödie! Wir haben in dieser Herzensangelegenheit die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt. Versucht, den Herg

Reisefieber

Die Schwüle drückte sich unerbittlich auf die Dreiflüssestadt nieder. Die Straßen waren leer gefegt. Die Hitze saugte aus jeder Pore des Körpers den letzten Schweißtropfen heraus. Ventilatoren liefen auf Hochtouren, nur um die schon viel zu warme Luft von einer Zimmerecke in die andere zu blasen. Der Luftzug verschaffte keine Abkühlung mehr.  Elisabeth starrte durch die geöffneten Fenster des Seminarraums hinaus auf den türkisgrünen Inn. Die karibische Färbung des Flusses, die unerträgliche Hitze und das monotone Geschwafel des Dozenten ließen sie träumen. Nur am Rande nahm sie die Freude des Dozenten über das Wetter wahr. Als sei es seinen wettergöttlichen Fähigkeiten zu verdanken, dass die Hitzewelle gerade dann Deutschland überrollt, wenn er mit seinen Studentinnen über Thomas Manns "Tod in Venedig" fachsimpelte. Sie hatten sich im Verlauf des Semesters mit verschiedenen Lektüren zum Thema Auszeit zur Normalität beschäftigt. Genau das war es, was sie nicht mehr

Der rote Flitzer

Kritisch betrachte ich den roten Flitzer vor mir. Nicht ganz der Straßenverkehrsordnung entsprechend nehme ich Zwergnase auf den Schoß und klemme die Tasche unter dem Ellenbogen ein, als ich mich ans Steuer setze. Es ist noch früh und ich wähle unbefahrene Nebenstraßen. Für eine Polizeikontrolle habe ich heute keine Zeit. Schließlich muss ich pünktlich in die neue Arbeit kommen. Ich komme arg ins Schwitzen. Aber Zwergnase hat seinen Spaß und drückt mit voller Freude immer und immer wieder die Hupe. Völlig außer Puste erreiche ich mein Elternhaus, drücke Zwergnase noch einen Kuss auf und mache mich wieder auf den Weg. Ich hole Schwung, so gut es geht, um Kraft zu sparen. Nach einer halben Ewigkeit stehe ich an der großen Kreuzung auf der Linksabbiegerspur an der Ampel. Mit meinem Öko-Geschoss komme ich mir reichlich dämlich vor, allerdings scheinen die anderen Verkehrsteilnehmer in keiner Weise irritiert. Nervös sehe ich aber auf die Uhr. Ich brauche doch länger als gedacht un